Szene der „fast täglichen Wetterkapriolen“ | Edwin Wiegele
Der Kärntner Künstler Edwin Wiegele veröffentlichte kürzlich ein neues geglücktes Kunstwerk, das seine Eindrücke der vergangenen Wetterkapriolen zeigt. Ich habe versucht, meine Gedanken zu dem Bild gemeinsam mit Laura Freudenthalers Text „Der heißeste Sommer“ in Worte zu fassen.
Von Sebastian Grayer, August 2023
Zu dem in den letzten Tagen entstandenen Bild von Edwin Wiegele gibt es etwas zu sagen. Mir fällt in seinem Zusammenhang Laura Freudenthalers Text „Der heißeste Sommer“ ein, den sie bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt im Jahr 2020 vortrug und der mit folgenden Zeilen beginnt: „Der heißeste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen ist mein schweigsamster. Ich sitze auf der Holzbank vor dem hinteren Tor und warte“. Ich meine hier eine wunderbar gegenseitige Nähe von Edwin Wiegele und Laura Freudenthaler ausfindig gemacht zu haben.
(c) Edwin Wiegele |
Edwin Wiegele beobachtete
die „fast täglichen Wetterkapriolen“ in Südkärnten auf seine eigene deutliche und
aufmerksame Weise: Mit seiner psychologischen Grundlage der Kreativität und der
interpretativen Verarbeitung von wahrgenommener und erlebter Realität nämlich. Seine
eindeutige hervorbringende Kreativität findet ihren Ausdruck darin, dass in
seinem neuen Kunstwerk das Schweigen und Warten auf das Ende der Zerstörung farblich
klar ausformuliert vorzufinden ist. Die Oberfläche bedeckt eine unangenehme
Kühle und eine um sich greifende und unmittelbar betreffende und betroffen
machende Härte, die von einem unwillkürlichen Charakter zeugt. Es zeichnet sich
eine grundlegend verstörende Stimmung ab, die von den letzten Ereignissen und
Erlebnissen Wiegeles herzurühren scheint. Ihr gehen konkret benennbare
Situationen voraus. Dicht zwischen den blauen, grauen und weißen ineinander
übergehenden Konturen ist eine die Atem raubende Aussichts- und Hilfslosigkeit
angesichts der vergangenen Wettergeschehnisse in Südkärnten eingewebt. Diese
brechen im Bild jegliche Tiefe ab und nehmen sämtliches an sich und in ihre
Gewalt. Übrig bleibt als Rest nur die eigentliche Machtlosigkeit des Menschen
gegenüber der Natur. „Beide Hände oben, neben dem Kopf, unfähig zur Bewegung“,
schreibt und könnte Laura Freudenthaler dazu mit Blick auf den ungläubigen
Menschen meinen, der zu dem Ertragen des vor ihm Geschehenen verurteilt ist. Erst
in diesem Moment wird die eigene Machtlosigkeit bewusst und auch erst dann,
wenn sich der Möglichkeitsraum der mühsam wieder in ihr Gegenteil umzukehrenden
Konsequenzen mit dem langsamen oder abrupten Abklingen, der ausbreitenden Beruhigung
und dem wieder-sehen-Können ergibt. „Der Schmerz ist immer auch eine
Erleichterung, weil die Spannung nachlässt“, ist Freudenthaler überzeugt. Die
Spannung hält sich auch nach dem mehreren Tagen durchgehenden menschenbedingtem
Mühsal aufrecht. Dann weicht die Spannung erst und der Schmerz ist deutlich zu
spüren. Alltägliches wurde in partielle oder völlige Zerstörung überführt.
Schweigend richtet sich der
Blick in Richtung Karawanken, die ihre unnatürliche Schwärze zeigen,
verzweifelt wird die Suche nach ihren erkennbaren Formen laut, die eine
Zuordnung an ihre Bezeichnungen erst möglich machen. Auch der Obir und sein Kleinobir sind schwer zu sehen oder lassen ihre Linien gerade noch erahnen. Der Hagel und
der Regen verdecken das Blickfeld zusehends, eine Suche bleibt ausgeschlossen:
„Schweigend und unbewegt ertragen […]“, geschützt von einer schnell gesuchten und
gefundenen Bedeckung und der Frage bedrängt, wann es denn schließlich mit den Wetterkapriolen
aufhöre.
Den Betrachter:innen wird
der Zugang zu etwas Verborgenen durch blaue, graue und weiße Farben verwehrt.
Irgendetwas liegt hinter diesen kalten Tönen, die eine stimmige Melodie des
Abgrunds verbreiten. Ein fahles Rauschen macht das Sprechen miteinander schwer,
beinahe unmöglich wird es, Worte zu finden, die etwas auf den Punkt bringen und beschreibende Formen ermöglichen.
Die Entscheidung Edwin Wiegeles,
„auf Leinwand umzusetzen“, den „gestikulierenden Regen und [die] Hagelstriche“
zu verfeinern und das Gesehene zu beruhigen, fasst den Wunsch vieler
Kärntner:innen in diesen Tagen wohl am besten zusammen: Es ist die innere
Sehnsucht nach Beruhigung, die hier mit einer ersten möglichen Deutung zutage
tritt und erst wieder durch die (künstlerische) Auseinandersetzung mit
persönlichen Eindrücken des Erlebten ihren ordnungsstiftenden Nährboden
erfährt. Darauf lässt sich wohlwollend aufbauen und eine Quelle für Mut,
Zuversicht und Ideenreichtum erarbeiten. Bei längerem Betrachten verwandelt sich das Bild in Ruhe und Stille um.
Das schwarze Band in der
Mitte teilt das Werk Edwin Wiegeles in einem zweifachen Sinne. Einerseits betont es
die bläulichen Kontraste. Andererseits ergibt sich ein offensichtlicher
Gegensatz zwischen einem Oben und einem Unten, oder ist es vielmehr ein Hinten
und ein Vorne? Es ist eher das Zweitere. Der Künstler lenkt mit seinem
erschaffenden Werk den Blick von vorne nach hinten. Menschen befinden sich also
fortwährend auf ihrem Weg durch ein mehr oder weniger spezifisches Sein
gerichtet. Sie treten aus Erfahrenem, Erlebtem und unvermeidlich Erlittenem hervor. In ihrem Dahinter liegen die ganzen Konsequenzen ihres Tuns, nichts
ahnend, welche weiteren Pfadabhängigkeiten sich dadurch im weiteren Verlauf
ergeben, aber doch darüber im Klaren und im Wissen verbleibend.
Das Bild legt uns auch noch
etwas ganz anderes nahe: „Abends sitze ich vor dem hinteren Tor“. In
diesem Moment scheint auch Edwin Wiegeles Bild zeitlich zu verorten zu sein. „Spätabends
ist der Himmel noch blau, davor zeichnen sich dunkel die Bäume ab. Vollkommen
reglos“. So weit wie Laura Freudenthaler geht Wiegele hier hingegen nicht. Bei dem Kärntner Künstler ist das Unglück vergangen, der Mensch hat die von ihm der Natur
zugeschriebene Zerstörung überdauert. Die orangefarbenen Flecken deuten die
Strahlen der wärmenden Abendsonne an, die nach turbulenten Stunden nochmals zum
Vorschein treten möchte. „Der Horizont färbt sich orange und rot“: Während es
bei Freudenthaler aufgrund der hohen Temperaturen, verursacht durch den immer
mehr spürbaren Klimawandel, zu brennen beginnt, ist es bei Wiegele die immer
wieder langsam zurückkehrende Hoffnung auf ein Danach, welche die Menschen zu
Mut aufzurufen imstande ist. Mit Oscar Wilde gesprochen: „Am Ende wird alles
gut. Wenn es nicht gut wird, dann ist es noch nicht das Ende“. Das Schweigen
der Menschen wird von ihnen selbst wieder zurückgedrängt und sie setzen sich
über ihre eigene zur Verfügung stehende Handlungsmacht mit ihren Instrumenten in
Kenntnis. Oder hält Wiegeles neues Werk den Moment der Einsicht über Selbstverschuldung hinsichtlich des Klimawandel fest, der sich im Augenblick erst unmissverständlich verdichtet,
sobald die unbeugsame Natur und die beugsame Kultur des Menschen
aufeinandertreffen? „Sehr klein setze ich mich [nun] auf die Bank vor dem
hinteren Tor“. In Anbetracht der „fast täglichen Wetterkapriolen“ in Südkärnten
kamen sich Menschen gewiss als kleine Wesen vor. Wir tun gut daran, uns öfters
an diese kleine Größe des Menschen gegenüber der Natur zu erinnern. Dazu
braucht es eben unter anderem die Kunst und ihre Auseinandersetzung mit dem
Menschen.
Edwin Wiegeles Versuch, scharf und unverkennbar mit Farben und ihren einhergehenden Tönen und Konturen zu artikulieren, ist wieder einmal wunderbar geglückt.