Der 10. Oktober als Möglichkeit zur Wertschätzung | Sebastian Grayer

Spoštovanje raznolikosti na Koroškem in premagovanje meja: To je moje razumevanje - Pluralismus muss den Singularismus ersetzen, bei gleichzeitigem Aufrechterhalten der Verbundenheit zum Herkunftsland. Die vor uns liegende Zukunft wird aus den Elementen des Miteinanders, der Vielfalt und einem nicht-nationalistischen Wir hervorgebracht.

Von Sebastian Grayer, Oktober 2020/2023

„Irgendwie nehme ich die Rolle eines Außenstehenden an und somit ermögliche ich mir selbst einen doch anderen und distanzierteren Zugang, aber gleichzeitig wiederum einen nicht so fernen“, denke ich mir. Ich sitze auf einer Bank im Grazer Stadtpark und setze zum Schreiben an. Als gebürtiger Völkermarkter, der seit mehr als drei Jahren abwechselnd in Völkermarkt und Graz lebt, wo er sich voll und ganz den Studien der Germanistik, Sprachwissenschaft und Soziologie widmet, möchte er im Folgenden persönliche und wohlwollende Gedankengänge zum 10. Oktober wiedergeben. Es ist eine dringlicher Drang und vor allem Wunsch an alle Kärntner:innen.

(c) Sebastian Grayer
(c) Sebastian Grayer

Die Stellung Völkermarkts als Abstimmungsstadt

„Kein Grenzland, sondern Zentrum. Mitten in Europa, im Schnittpunkt dreier Kulturen.“ /„Ni dežela na meji, temveč center. Sredi Evrope, na presečišču treh kultur.“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen findet wunderbare und passende Worte für das Bundesland Kärnten, speziell aber für den Süden Kärntens. Die Sätze spiegeln auch die einzigartige und unvergleichbare Stellung unserer Bezirkshauptstadt Völkermarkt als Abstimmungsstadt wider. Die Stadt – über der Drau gelegen – ermöglicht den Völkermarkter:nnen mit dem Blick in Richtung Süden einen inneren Weg zu finden. Einen für viele doch schmerzvollen und nachdenklichen Weg, auf dem vor allem zwei in uns tief befindliche Gefühle zum Vorschein kommen: Offenheit und Weite. Dass Weite und Offenheit grenzen- und raumlos sind. Dass beide doch nicht zum Vorschein kommen müssen, wenn sie ja bereits tagtäglich erreichbar und sichtbar sind. Dass Weite und Offenheit erreicht sind. Dass Kärnten bereit ist, Weite und Offenheit umzusetzen. Das alles würde man doch meinen. Wäre da nicht der 10. Oktober, der diesen Gefühlen ihren beengenden Raum gibt. Der uns mit seiner auf den ersten Blick starken Kraft in den Singularismus ziehen will, der uns erklären möchte, wie schön Kärnten als Heimat doch ist. Und schließlich versucht, uns näher an den Tisch zu bringen, an dem Heimat als eine Leistung verstanden wird.

Erschaffene Kultur als Orientierungshilfe innerhalb der Gesellschaft

Wir in Völkermarkt profitieren vom Einfluss insgesamt dreier Kulturen – vom österreichischen, slowenischen und italienischen. Und damit werden wir in Bezug auf die kulturelle Vielfalt reicher. Kultur bedeutet aber keineswegs ausschließlich die Schaffung künstlerischer und geistiger Werke. Es ist ebenso das, was die in Kärnten lebenden Menschen im Miteinander und in Rücksicht auf aller erschaffen, ja wir sind die Architekten der Kultur, die als eine Vergegenständlichung menschlichen Geistes innerhalb der Gesellschaft angesehen werden soll. Wir werden reicher an Menschen, die unterschiedliche Lebenseinstellungen, Ideen und Gedanken besitzen. Wir werden reicher an Menschen, die unterschiedliche Ansätze auf ihrer kulturellen Grundlage entwickeln, und damit Probleme in Möglichkeiten umsetzen. Davon profitieren wir. Dieser Vergegenständlichung wird mit dem Höhepunkt des 10. Oktobers der Nährboden Schritt für Schritt genommen. Wir laufen Gefahr, Blickwinkeländerungsmöglichkeiten außer Acht zu lassen und uns in die selbstverschuldete Enge treiben zu lassen. Gerade diese beiden – Offenheit und Weite – werden zunehmend verschleiert und verlieren den Bezug zu den einzelnen Mitglieder:nnen der Gesellschaft. Sie verlieren sich auf den unsicheren Wegen der Menschen und machen sich nicht mehr auffindbar. Viele würden meinen, dass es mehr eine Beeinflussung und eine Überflutung als ein Einfluss auf Kärnten darstellt. Nein, da muss ich vehement widersprechen. Augenmaß, Umsicht, Achtung und Verhältnismäßigkeit sind die Werkzeuge, die für diesen besonderen Umgang zur Verwendung herangezogen werden müssen. Für welchen Umgang höre ich nun fragen. Natürlich für das in Zukunft zu pflegende Verständnis, dass der kulturelle Einfluss uns auch dabei hilft, den Stellenwert jedes einzelnen Menschen im Land mit neuen Augen zu betrachten. Dass die slowenische Sprache zu Kärnten gehört und sie auch benötigt wird, um die gegenseitige wie gesellschaftliche Achtung weiterzuentwickeln.

Miteinander im Zentrum der vor uns liegenden Zukunft

In den vergangenen Tagen und Wochen wurde das Wort „Freiheit“ wieder einmal schamlos ausgereizt und bis zur Gänze ausgeschöpft. Ich bin fest davon überzeugt und das gebe ich auch offen zum Ausdruck, dass aus soziologischer Sicht, wir Menschen nicht frei sind. Können es auch nicht sein. „Freiheit“ ist lediglich eine Illusion, der man sich lossagen muss, um sich bewusst und aktiv dem Aufbau einer dringend notwendigen Veränderung der Gesellschaft in Kärnten zu widmen. Wer glaubt, allein in Richtung Zukunft gehen zu können, wird enttäuscht. Die Solidarität, das Zusammengehörigkeitsgefühl und der schrittweise Aufbau des Vertrauens der Menschen untereinander wird weiterhin eine tragende Rolle spielen. „Freiheit“ führt lediglich dazu, diese unter einer Nebeldecke verschwinden zu lassen. Freiheit und Miteinander müssen unabdingbar differenziert voneinander betrachtet werden. Eine Durchmischung oder Verwendung dieser beiden im gleichen Atemzug ist nicht wirklich sinnstiftend und weiterführend. Der „Freiheit“ soll mithilfe des „Miteinanders“ der Raum genommen werden, dessen Fundament „Weite“ und „Offenheit“ bilden. Pluralismus muss den Singularismus ersetzen, bei gleichzeitigem Aufrechterhalten der Verbundenheit zum Herkunftsland. Die vor uns liegende Zukunft wird aus den Elementen des Miteinanders, der Vielfalt und einem nicht-nationalistischen Wir hervorgebracht.

Wertschätzung für die Vielfalt in Kärnten und die Überwindung von Grenzen: Das ist mein Verständnis. / Spoštovanje raznolikosti na Koroškem in premagovanje meja: To je moje razumevanje.