Rosalies limettengrüne Augen kann sie nicht vergessen | Magdalena Ahrer

In "Limettensommer. Eine Liebesgeschichte. Vielleicht" zeichnet Magdalena Ahrer den Weg zu einer wahrhaftigen Liebe nach, die oftmals nur ein ehrliches Zutrauen zu sich selbst braucht. Es ist der erste Roman der gebürtigen Oberösterreicherin, die in Graz lebt.

Von Sebastian Grayer, August 2024

Für Ophelia Winterstein fühlt es sich besser an, als ein warmer Sommerregen auf der blassen, mit Schweiß überzogenen Haut. Das Gefühl der Verliebtheit, das die 15-jährige Schülerin in einem Sommer zum ersten Mal auf wohl besondere wie aufwühlende Weise kennenlernt, umfängt sie mit großer Wärme. „Du kannst mich Rose nennen“, sagt sie. „Ich mag, wie er sich auf der Zunge anfühlt. Leicht und mit angenehmen Nachgeschmack“, denkt Ophelia über ihren Namen nach, als sie ihn erstmals zu hören bekommt. Rose ist die Enkelin von Marilyn Temperley, die seit acht Jahren in einer unscheinbaren und gewöhnlichen Wohnstraße der Stadt ein kleines Vintage-Geschäft betreibt – und in dem Ophelia nun neun Wochen lang spontan als Aushilfe arbeitet. Und das fiel ihr gerade passend zu: Ihre halbherzigen Freund:innen sind nämlich in den Urlaub verreist, sie selbst bleibt allein in der Stadt zurück, in der Ophelia gemeinsam mit ihrer Mutter lebt, ihr Vater hat die kleine Familie vor zweieinhalb Jahren verlassen und gründete selbst eine dreiköpfige Familie, bei der sie gelegentlich ihre Wochenenden nicht ganz ohne Sehnsüchte nach vergangenen Zeiten verbringt, als sie selbst noch gemeinsam mit ihren Eltern eine Familie waren. Doch dieser Sommer ist für Ophelia in ein ungewohntes Gewand gehüllt, der für angenehm-warme und gleichzeitig erfrischende Momente für ihr noch junges Herz sorgt.

(c) Sebastian Grayer
(c) Sebastian Grayer

Waren die übrigen Sommer von Ophelia bisher mit Langeweile, Eintönigkeit und sich wiederholenden Tagen gefüllt, an denen sie nichts anzufangen wusste, so stimmt sich in den kommenden Wochen ein wohlwollender Wechsel von Stille und Trägheit in freudige Tage an. Im Vintage-Geschäft von Marilyn lernt sie Rose kennen, die ihrer Grußmutter bei der Arbeit regelmäßig hilft. Und Ophelia ist fasziniert von ihren einzigartigen Augen: „Ich fahre herum und blicke in zwei limettengrüne Augen.“ Damit tritt ein neuer Mensch in das Leben von Ophelia und auch eine bisher nie da gewesene Erfahrung, gemischt mit dem Unwissen, woran sie bei Rosalie ist, breitet sich aus. Die Distanz zwischen ihnen nimmt an manchen Tagen zu und es gibt wieder Momente, in denen die Distanz kaum zu spüren scheint. Durch Rosalie lernt sie neue Freunde kennen, Finn und Yuko, und das Geschäft wird für sie zu einem zweiten Zuhause: Ophelia hat ihren Platz für diesen Sommer gefunden, den sie weder in der zerbrochenen Familie noch in der Schule hat. Hier passt sie rein. Zu viert verbringen sie laue Abendstunden am See, erzählen sich Geschichten am Lagerfeuer und philosophieren über den Alltag hinaus. An einem solchen Abend erwacht Ophelia in ihrem Schlafsack, da sich Rosalie alleine zum Steg des Sees begeben hat. Ophelia folgt ihr. „Bleib. Bleib hier, Ophelia“, entgegnet Rosalie, die ihr etwas sagen muss, dafür sie aber nur schwer Worte finden kann. „Ich zögere einen Moment, schiebe alles weg und dann… dann küsse ich sie.“

Die gebürtige Oberösterreicherin Magdalena Ahrer, die in Graz lebt und an der Karl-Franzens-Universität Germanistik studiert, platziert sich als junge Autorin in ein Themenspektrum von Selbstfindung, „Coming-of-Age“, Suche nach Identität in einer fluiden Zeit und widmet sich mit wunderbar-großem Gefühl der queeren Liebe, die junge Menschen schon immer bewegt hat. Ahrers ruhiger und auf den rund 200 Seiten an keiner Stelle aufdringlich erscheinende Erzählton, der hier und da von lauten Gefühlen unterbrochen wird, aber nicht zu verstimmen droht, zeichnet die Autorin ebenfalls wie ihre Fähigkeit aus, Linien einer sich langsam entwickelnden Liebe auszumachen und sie der:dem Leser:in zu skizzieren. Sie nimmt an die Hand und führt an etwas heran, das für viele außerhalb des eigenen Lebens unverständlich und oft nicht nachvollziehbar anmutet.

Ahrers Poetik bringt sich selbst in einer bestimmten Szene am besten auf den Punkt: „Ich küsse sie, erst zögerlich und dann nicht mehr. Ich fahre ihr mit der linken Hand durch die Haare. Sie zieht mich näher zu sich heran und ihr Parfüm steigt mir in die Nase.“ Es scheint, als platzierte Ahrer jedes Wort vor seiner konkreten Verwendung auf eine wohl geeichte Waagschale, um genauestens das Gewicht darüber in Erfahrung zu bringen – zu wissen also, ob es nicht zu schwer wirkt. Erst dann hat sie Gewissheit über die Wirkung im Ganzen. Und es wächst heran und breitet sich aus. Es umarmt am Ende. Innigst. Der Moment der Liebe, der oft nur ein bloßes Zutrauen zu sich selbst braucht. Weil bekanntlich sind die Unterschiede in der Liebe aufgehoben – welche Form die Liebe auch hat: Mensch ist Mensch und Liebe ist Liebe.

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Magdalena Ahrer,

"Limettensommer. Eine Liebesgeschichte. Vielleicht".
€ 14,- / 208 Seiten.
arsEdition,
München 2024