Wenn der Kondomautomat Poesie ausspuckt | Grazer Poetik
Sie, die Grazer, versuchen mit der Welt auszukommen, indem sie am Gehenden bleiben, alles Beobachtete in ihren Köpfen archivieren und ihre Provinzstadt lesen. Zwar braucht es hier immer etwas länger, dafür ist es umso bedachter – aber: Sie lesen ihre Stadt und machen alles zu Text.
Von Sebastian Grayer, November 2024
Hat Klagenfurt insofern Relevanz, als es durch seine Existenz möglich wird, die Kategorien der Irrelevanz zu füllen, so ist die Angelegenheit bei Graz weitaus schwieriger, schlägt sie doch in die umgekehrte Richtung, lese ich da. Als Landschaftsstadt, wie sie Reinhard P. Gruber nennt, schafft sie ihre eigenen Kategorien und nimmt Maß an sich selbst. Den Grazern oder gar mir – ich habe den Satz ja nur gelesen! – Überheblichkeit zu attestieren, liegt zwar nahe, aber das wäre dann wirklich überheblich, denke ich mir.
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(c) Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek |
Und von dieser Umtriebigkeit, aus Nebensächlichen viel zu machen, zeugt Graz. Ich denke an Blättern in der Gartengasse, den Raum für Nachwuchsliteratur von Lisa Höllebauer und Lisa Schantl. Das Literaturhaus, dessen ausgebleichtes Transparent über der Elisabethstraße einfach hängen bleibt, weil man so beschäftigt mit Kulturvermittlung ist. Das Forum Stadtpark, wo einst ein Poesieautomat (sah wie ein Kondomautomat aus) angebracht war. Das Schauspielhaus, woran auch die gegenüberliegende Kirche Gefallen findet. Die Oper gleich neben dem Kaiser-Josef-Platz, wo junge und ältere Menschen sich Bier in die Venen schießen, während sich Iphigenie nach Griechenland sehnt.
Und ja, Thomas Bernhard hat sich in diesem Punkt geirrt: In Graz muss man gewesen sein – am besten man bleibt gleich hier, denn da ist die Welt noch in Ordnung.
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Der Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung "Graz. Hauptstadt der Literatur" bei Univ.-Prof. Klaus Kastberger am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung (Karl-Franzens-Universität Graz).