Aktuell, aufwühlend und voller
Hoffnung: Ich war bei der Vernissage der Ausstellung „schock - šok
- shock“ des Kunstvereins Art13 in der Völkermarkter Turmgalerie zu Besuch. Es war ein wunderbarer und gelungener Abend mit bleibenden Eindrücken.
Von Sebastian Grayer, Juli 2023
Am Weg zur Ausstellung
„Triennale III Kärnten 2023: schock - šok - shock“ des Kunstvereins Art13 in
der Völkermarkter Turmgalerie ist schon einiges los. Zwei Besucher unterhalten
sich am Eingang über die Abbildung von Realität: Kann man in Zeiten von
Klimakrise, Krieg in Europa, vergangener Corona-Pandemie, Gewalt gegenüber
Frauen und empfindenden Weltschmerz eine Ausstellung zum Thema „Schock“ machen?
Laufen wir dann nicht Gefahr, die tägliche Hoffnungslosigkeit zu verdoppeln?
Zwei andere stehen mit verschränkten Armen vor einem Bild, das Hermann Nitsch in
seiner ganzen Pracht zeigt. Andere wiederum steuern gleich den Ausstellungsraum
an oder entscheiden sich zuvor für ein Gespräch bei einem Glas Wein. Und dann beginnt
der Moderator Raimund Grilc irgendwann bedacht zu sprechen und Klangkünstler Klaus
Lippitsch nimmt langsam Platz. „Wir werden den Abend so gestalten, indem jede:r Künstler:in zu den eigenen Bildern hinkommt und wir werden uns
dann darüber unterhalten“. Denn: Alles Wesentliche kommt von
den Künstler:innen selbst und der Bezug zwischen Bild und Schöpfer:in wird so
hergestellt.
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(c) Sebastian Grayer |
Ein vielfältiger
Ausdruck von Schock
Bei dem Wort „Schock“ denkt
man an vieles, besonderes und unterschiedliches. Und so ist es auch bei den
Bildern vor Ort. „Der Schock ist eine tiefgreifend verändernde Erschütterung“
lässt Grilc wissen. Das in der Turmgalerie dargestellte „Viel“ von „Schock“ ist
Ausdruck der unterschiedlichen Zugänge der jeweiligen Künstler:innen: Dieses
„Viel“ wird jedoch von einem Grundverständnis über Pessimismus und Negativität
zusammengehalten, „Schock“ ist gemeinhin negativ behaftet: Es ist ein Schlag
und ein Stoß.
Herlinde Sander: „Schock
ist allgegenwärtig“
Die Vorsitzende von Art13 hat zum Thema „Schock“ interessante Dinge ausgewählt, dazu gehören die Künstliche Intelligenz (KI), Binärcodes, Ereignisse aus anderen Ländern, Gewalt gegen Frauen, Pandemie und Krieg. Für Herlinde Sander sind Themen, die schockieren, allgegenwärtig. „Bei einem Schock kann sich aber alles wieder zum Guten wenden: Der Mensch braucht immer - um aus der Komfortzone zu kommen - einen Stoß. Um sich auch wirklich diesen Themen zu widmen und Veränderungen zu erzielen, auch aktiv zu werden, glaube ich, braucht man oft ein Schockerlebnis“, gibt Sander einen Einblick in ihren Zugang. Sie ist davon überzeugt, dass alle Themen uns alle beschäftigen.
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(c) Sebastian Grayer
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Hans Enzersfellner: „Angst
und Blut stimmen überein“
Lässt man seinen Blick durch
den Raum schweifen, so sticht ein Bild mit Hermann Nitsch hervor. Es stammt von
Hans Enzersfellner, das sich neben einem Bild mit zwei ukrainischen Tänzerinnen
befindet, deren Körperspannung und Synchronizität an den Betrachter
weitergegeben wird. „Angst, Blut, Gewalt stimmen bei den Bildern überein“, sagt
Enzelsfellner und weist auf seine beiden Werke hin. Bei den Tänzerinnern wird
er ernst: „In diesem Sinne kann man es nicht sportlich betrachten, weil man
nicht weiß, wie lange das Ganze geht. Das muss man offen sagen“. Geradezu
unauffällig - weil vielleicht so alltäglich - zeigt am Buffet eine
Bleistiftzeichnung ein weibliches Gesicht. „Die Figur hält sich ihren Kopf,
genau passend zum Schock, zur Angst und Gewalt“. Mit Schock gehen nämlich auch bestimmte und konkrete Gestiken einher.
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(c) Sebastian Grayer
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Theodor Wedenig: Gewand über dem Schockierenden entfernen?
Theodor Wedenig - weilt derzeit im
Urlaub auf Korsika - hat einen unheimlich anmutenden Roboter geschaffen,
es könnte auch das Innere eines Computers sein. „Stellen Sie sich einmal vor,
das Ganze wäre in einer schönen Hülle verpackt“, appelliert Grilc an die
Publikumsreihe, an deren Stirne dezent der Schweiß zu sehen ist; die Hitze
frisst sich auch durch die dicken Wände des Turms. „Und dann fällt die Hülle
weg und wir sehen im Inneren alle möglichen Dinge, die vielleicht tatsächlich
schockieren“. Wenn die Hülle weggefallen ist, sei der Schock umso größer, was
verbirgt sich dahinter - so könnte man es unter anderem bei Wedenigs Installation interpretieren.
Martina Drobesch: „Schock
kommt ohne Vorwarnung“
Ihre Werke fallen durch die
auffallend wirkende farbliche Komposition auf, sie strahlen regelrecht auf den
Betrachter ein: das Feurige steht für das Leben, das Schwarze davor für den
Schock. „Die Farben symbolisieren für mich das Leben, das jeder hat, mit all
seinen Höhen und Tiefen, Emotionen und Erfahrungen. Und natürlich auch, wenn
der Schock über einen kommt. Und der kommt ohne Vorwarnung, ohne Mitgefühl, der
überfließt einen, er springt an und macht machtlos, stumm und gelähmt“. Für
Martina Drobesch ist es wichtig, dass die bunten Farben auch dableiben, das
Leben dableibt und wir aus jeder schwierigen Erfahrung und jedem Schockzustand
wieder heraussteigen können: So öffnen sich neue Türen und wir treten gestärkt
hervor.
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(c) Sebastian Grayer
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Gita Wandl: „Menschen sehen
lieber das Schöne“
In der Turmgalerie befindet
sich eine kopfloser Mensch, der vier unterschiedliche und doch in einer Einheit miteinander verbundene Werke betrachtet und gleichzeitig schwere
Zeiten an seinem Körper trägt: Gier, Macht, Täter Opfer und Schock. Diese
Installation geht auf Gita Wandl zurück. Ihre Bilder haben zwei Ebenen, eine
schöne und eine in realistisch, schockierend und traurig gehaltenen Aspekten. „Ich
habe ihm Rahmen der Installation vier Themen aufgegriffen, die uns derzeit sehr
beschäftigen - Umweltverschmutzung, Klima und Erderwärmung, Krieg und deren
Folgen sowie Verunreinigung der Meere und Gewässer - und den Mensch als
Betrachter dieser dargestellt.“ Die Menschen würden das Schockierende zwar
sehen, doch andererseits schauen sie weg, weil sie auf nichts verzichten
wollen. Wandl diagnostiziert eine Differenz in der Gesellschaft und bringt
diesen mit ihrer Installation auf den Punkt: Zwischen jener Sichtweise, die wir
aus den Medien hören, und derjenigen, die die Menschen lieber sehen möchten.
Dadurch entsteht eine Diskrepanz. Der Mensch bleibt als Täter und Opfer übrig.
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(c) Sebastian Grayer
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Helene Wernig: „In die
Tiefen des Inneren gehen“
Vergleichen die
Besucher:innen Helene Wernigs Werke mit jenen der anderen Künstler:innen, so
fallen diese mit ihren porösen Strukturen und Rostspuren auf, dadurch ergeben
sich Lebendigkeit und Alter. Doch auch Skulpturen aus Keramik präsentiert
Wernig in der Turmgalerie. „Meine Keramik ist mit Rost überzogen, darf dann
eine Weile oxidieren und dann beende ich die Oxidation wieder“. Inhaltlich ins
Auge sticht ihre Auffassung von Schock: Sie ist bei ihr keine plötzliche
Situation, sondern etwas, was offenbar über längere Zeit im Menschen nachhallt.
Ausgehend von Dingen, die passiert sind, gibt es immer wieder ein Denken an
diese Situationen und daraus resultierend persönliche Gefühle. „Was mir wichtig
war, ist, wenn ich einen Schock erlebt habe, tief in das Innere zu gehen und
sich fragen, was brauche ich in diesem Moment, dass ich Kraft bekomme, an wen
kann ich mich wenden – uns so kann ich weitermachen“. Es gebe verschiedene
Möglichkeiten, neue Kraft zu finden und wohl das Wichtigste: „Jeder hat die
Ressourcen“.
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(c) Sebastian Grayer
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Marianne Schöfmann: „Die
geschundene Natur“
Zu dem Thema „Schock“ gibt
es natürlich viele Zugänge. Einen davon bringt Marianne Schöfmann den
Besucher:innen nahe. „Es geht um den brennenden Schmerz und den Schock unter
dem Thema ‚Das Wasser kann das Feuer des brennenden Schmerzes nicht löschen“.
Diese Situationen sind auch Teil des Lebens, die man auch bewältigen muss. Ein
anderes wiederum spannt den Bogen zu den Momenten, in denen alles zerbricht. „Eben
der Schock: Wenn alles zerbricht und das ganze Leben in Scherben liegt“. Bei
Schöfmann gibt es ein drittes Werk, das alle Themen zusammenfasst und
wiederholt: „Ich habe es ‚Geschundene Natur‘ genannt, eben die Verletzung auch
der Erde, die Ausbeutung. Praktisch das ganze Umwelthorrorszenario“.
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(c) Sebastian Grayer
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Ingrid Roschanz: „Man
kann es schaffen“
Die zwei markanten Bilder
von Ingrid Roschanz, die ich bereits 2022 zum Gespräch getroffen
habe, zeigt Werke, die zwei Themen aufgreifen, welche auch im Sprachgebrauch
eindeutig auf schwierige Situationen hinweisen. „Ich habe es versucht, es auf
eine psychische Art darzustellen, also was sich dabei tut, wenn man den Halt
unter den Füßen verliert. Es kommt einem vor, man versinke in einem schwarzen
Loch. Man sucht zwar den Halt, aber man findet keinen“. Das zweite Bild von ihr
trägt den Titel „Gewalt sehen“ und widmet sich dem immer kürzer werdenden Weg
zur Gewalt, die insbesondere Frauen betreffen. „Man möchte schreien, aber es
kommt kein Laut von den Lippen. Aufstehen und sich nicht unterkriegen zu lassen
ist schwer, aber man kann es lernen und schaffen“.
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(c) Sebastian Grayer |
Wider dem Pessimismus
Doch Pessimismus und
Negatives zu verbreiten, ist der Kunst selbstverständlich fremd. In der
Turmgalerie wird der Schmerz nach Betrachten der Bilder abgelegt. Und Hoffnung
mitgenommen. „Was Sinn und Zweck dieser Ausstellung ist: Am Ende sollten wir
nicht in Schockstarre verharren und schockiert hinausgehen, sondern ganz im
Gegenteil, einen Schock muss man auch überwinden“, gibt Grilc die Hoffnung der
Künstler:innen an die Besucher weiter. Während des gesamten Abends traten
Menschen miteinander in Gespräche, damit hellten sich die Stimmungen merklich
auf, die zuvor durch die Werke und ihre Eindrücke leicht gedämpft wurden. Dazu
passte auch die Musik von Klaus Lippitsch. Einen Schock zu überwinden - eine
wesentliche Lebenserfahrung, die einem aus schwierigen Situationen
weiterbringen kann. Auch die Ausstellung bringt noch bis zum 11. August 2023
Menschen weiter.
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(c) Sebastian Grayer |
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